Bürgerforum zur Paludikultur

im Februar/März 2013 auf Usedom

Viele Menschen haben den Eindruck, dass Entscheidungen immer über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. Hieraus entsteht die vielbeklagte Politikverdrossenheit. Deutschland befindet sich derzeit in einem Landschaftswandel, da sich die Landnutzung ändert, z.B. durch den Ausbau erneuerbarer Energiequellen und durch Ausgleichsmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft. In den meisten Fällen werden Anwohner nur mit den Ergebnissen konfrontiert, wie z.B. Maismonokulturen, Windräder, Wiedervernässungsmaßnahmen, Einrichtung von Schutzgebieten und anderes. Das Mitspracherecht der Bürger ist trotz diverser Anhörungen eingeschränkt, d.h. meistens wird „von oben“ etwas geplant, beschlossen und dann umgesetzt. Obwohl diese Entscheidungen demokratisch legitim sind und ihre Umsetzung rechtsstaatlich erfolgt, empfinden viele Bürgerinnen und Bürger einen Mangel an wirklicher Beteiligung „vor Ort“.

Aber es gibt Möglichkeiten, diesen Mangel zu beheben! Seit einigen Jahren  werden Verfahren der Bürgerbeteiligung erprobt, die das Wissen und den gesunden Menschenverstand der Bürgerinnen und Bürger einbeziehen und politisch relevant werden lassen. Informierte Bürger bilden sich gemeinsam ein Urteil und verfassen ein Gutachten, das sie an Politiker und die Medien über-geben. Das Verfahren trägt die Bezeichnung „Bürgerforum“.

Bei Bürgerforen handelt es sich um eine sehr spezielle und ambitionierte Form der Bürgerbeteiligung. Die Experten, deren Meinungen und Gutachten üblicherweise im Mittelpunkt stehen, treten in diesem Verfahren einen Schritt zurück und stellen Ihr Know How den klugen Laien des Bürgerforums zur Verfügung. Diese bis zu 25 Bürger sammeln Informationen, Fakten, Meinungen und Standpunkte und führen einen diskursiven und gemeinsamen Meinungsbildungsprozess durch.

Eine bewährte Gruppengröße für solche Foren sind 10 bis 25 Teilnehmer. So besteht die Möglichkeit intensiv zu diskutieren und die Fachreferenten können fokussiert auf Fragen eingehen. Die Teilnehmer benötigen keine Vorkenntnisse, nur die Bereitschaft an allen Treffen verbindlich teilzunehmen. Für das Bürgerforum zur Paludikultur wurden 2.000 mit Hauptwohnsitz im Amtsbereich Usedom-Süd und der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf gemeldete Einwohner ab 18 Jahren aus dem Meldeamtsregister per Zufallsverfahren ermittelt. Durch die Zufallsauswahl haben alle Bürger die gleiche Chance, eine Einladung zu erhalten. 30 Bürger kündigten ihre Teilnahme an. 25 Bürgerinnen und Bürger trafen sich zum ersten Bürgerforumstreffen im Hotel Balmer See. Die Teilnahme der Bürger erfolgte unentgeltlich, lediglich die Kosten für Übernachtung und Verpflegung wurden gestellt.

Der Auftraggeber für das das Bürgergutachten ist die Universität Greifswald. Wissenschaftler untersuchen hier seit Jahren die Möglichkeiten, Moore nachhaltig zu bewirtschaften. Im Laufe der Forschung ist hierbei eine neue Landnutzungsform entstanden – die Paludikultur (s.u. Links). So können Moore landwirtschaftlich und unter nassen Bedingungen genutzt werden. Auf diese Weise bleibt der Torfkörper erhalten. Das Ziel ist, neue wirtschaftliche Perspektiven für Menschen und Moore zu entwickeln. Im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojektes über die Möglichkeiten von Paludikultur ist die aktive Beteiligung der Bürger als lokale Experten wesentlicher Bestandteil (Modul 3 im Projekt VIP, s.u. Links). Das Bürgerforum wurde von der Professur für Umweltethik und versierten Moderatoren (Projektteam s.u. Links) wissenschaftlich und organisatorisch vorbereitet und begleitet.

Warum wurde das Thurbruch ausgewählt? Das Bürgerforum findet im Amtsbereich Usedom-Süd statt, wo seit Jahren über die Zukunft der Bewirtschaftung des Thurbruchs und von Niedermooren  diskutiert wird. Die Bürger dieses Gebietes sind somit mit der Problematik von Landwirtschaft in Moorgebieten vertraut. Die Thurbruchregion wurde stellvertretend für andere Regionen in Vorpommern ausgewählt, an deren Beispiel solch ein Bürgerbeteiligungsprozess für die Landnutzungsoption Paludikultur durchgeführt wurde. Und dies bereits im Vorfeld, bevor etwas geplant oder gar entschieden wird. Für das Gebiet des Thurbruchs ist von Seiten der Wissenschaftler der Universität Greifswald derzeit keineUmsetzung von Paludikultur angestrebt. Allerdings bieten sich Gebiete wie das Thurbruch aus fachlicher Sicht als Paludikultur-Flächen an. Es sind sogenannte Eignungsgebiete.

Leitfrage des Bürgerforums

Hieraus ergibt sich die Leitfrage des Bürgerforums  zur Paludikultur:

Wie beurteilen die Bewohner von Eignungsgebieten, die Aussichten von Paludikultur?

Das Ziel des Bürgerforums ist die Erstellung eines Bürgergutachtens. Das Gutachten fließt in die wissenschaftliche Beurteilung von Paludikultur ein und soll auch zukünftige politische Entscheidungen mitprägen. Für die Teilnahme ist kein Fachwissen notwendig. Es ist lediglich erforderlich, sich über die Chancen und Risiken von Paludikultur zu informieren und mit anderen Mit-wirkenden kontrovers zu diskutieren.

Über drei Wochenenden streben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Konsens an und beschreiben diesen in einem gemeinsam erstellten Bürgergutachten, das dann den politisch Verantwortlichen und der Öffentlichkeit als eine Entscheidungsgrundlage für zukünftige Planungen dienen kann. Es bein-haltet begründete Handlungsempfehlungen an die Politik(er). Geleitet werden die Beteiligten von der gegenseitigen Achtung und dem Respekt fremder Meinungen und Ansichten. Damit auch jeder Teilnehmer zu Wort kommt werden Bürgerforen moderiert.

Um eine fachlich begründete Debatte zu ermöglichen, haben während des ersten und weiten Bürgerforumstreffens sachverständige Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer informiert und Ihnen für ihre Fragen zur Verfügung gestanden. Dazu waren auch Landwirte aus der Region, der Bauernverband und der Naturpark eingeladen und haben mit den Bürgergutachterinnen diskutiert. Weiterhin standen  Informationen aus Fachaufsätzen, Broschüren, Büchern und dem Internet zur Verfügung. Das zweite Bürgerforumstreffen war vor allem der vertieften Diskussion und der inhaltlichen Gestaltung des Bürgergutachtens gewidmet. Während des dritten und letzten Bürgerforumstreffens wurde das Bürgergutachten verfasst. Dieses wurde am 17.3.2013 im Rahmen einer  Pressekonferenz durch die Bürgergutachterinnnen und -gutachter an  Politiker und Gemeindevertreter übergeben.

Weitere Informationen

Dokumente:

<link fileadmin umweltethik buergergutachten_paludikultur.pdf download>Bürgergutachten

<link fileadmin umweltethik infoblatt_bf_paludikultur__2_.pdf download>Infoblatt Bürgerforum Paludikultur

<link fileadmin umweltethik projektteam_buergerforum_paludikultur__2_.pdf download>Projektteam

Links:

Wegweiser Bürgergesellschaft: Bürgerforen

Wegweiser Bürgergesellschaft: Bürgerforen (Planungszellen)

Wikipedia: Bürgerforum

Paludikultur

VIP - Modul 3: http://paluditypo.rapidrabbit.de/index.php?id=modul3

 

Literatur:
Astrid Ley & Ludwig Weitz (Hrsg.):Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch. Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen Nr. 30, Verlag Stiftung MITARBEIT, Agenda Transfer, Bonn 2004